09.04.–14.05.2022
Margrit Jäggli | Nicolas Frey | Jan van Oordt | Francisco Sierra | Rachel Carson | Zdenek Burian | Lin May Saeed | Joshua Bennett | Eileen Myles | Dietmar Dath | Alice Walker | Filipa Ramos | Fernando Peres | Alan Weisman | Yi-Fu Tuan | and more
Exhibition Views
D
Anthropomorph
Paradigmatisch in der Auseinandersetzung mit Tieren stellt sich immer wieder die Frage, wie zulänglich und zulässlich die Projektion der menschlichen Erfahrungswelt auf die eines Tieres ist. Klassische philosophische und naturwissenschaftliche Positionen traten immer wieder für eine strenge Trennung der beiden Sphären ein, wodurch die Tierwelt zu etwas grundsätzlich Fremdem wird, über das wir über äussere Beobachtungsdaten hinaus nichts wissen können. Auf der anderen Seite steht die Tatsache, dass man, wenn man einem Tier begegnen will, sich in dieses hineindenken will, man auf gewisse Vermenschlichungen angewiesen ist und mit Fantasie und einem Abgleich mit der eigenen Erfahrung operieren muss. Ohne Anspruch auf Abgeschlossenheit bietet diese Ausstellung Möglichkeiten, einzutauchen in unterschiedliche Beziehungen von Mensch und Tier.
Wir begegnen hier zum Beispiel dem Guppy, dem weltweit wohl am meisten gehaltenen „Zierfisch“. Die unzähligen Zuchtformen dieses Fisches sind ein Zusammenspiel der Möglichkeiten der Genetik und dem ästhetischen Empfinden des Menschen. Wir können uns fragen, was für Menschen Tiere züchten und aus welchen Gründen.
Man sagt, Katzen seien aus freien Stücken zum Menschen gekommen. Neben den Hunden sind es die Tiere, die wir am besten zu kennen und verstehen glauben. Tatsächlich funktioniert unsere Kommunikation mit ihnen ziemlich gut. Doch eine Katze führt immer auch ihr eigenes Leben, wenn sie raus geht und Abenteuer erlebt, von denen wir nichts erfahren. Gute Hunde- und Katzenhalter*Innen wissen auch, dass gewisse Verhaltensweisen dieser Tiere spezifisch für diese sind. Dies bedeutet, dass man sie „lesen“ lernen muss und nicht aus einer rein menschlichen Perspektive deuten sollte, um ihnen gerecht zu werden.
Affen werden immer wieder als Lieblingstiere genannt und die durchschnittliche Aufenthaltszeit von Zoobesucher*Innen vor Affengehegen ist sehr hoch. Sie werden gerne als einen Spiegel für uns Menschen angesehen. Doch was sehen wir in ihnen? Zeigen sie uns einen paradiesischen Zustand von Fast-Menschsein ohne die Fallstricke der Zivilisation? Oder mischt sich in unsere Zuneigung nicht auch etwas Verachtung? Ein Mensch bar jeder Menschlichkeit wird häufig als Affe bezeichnet.
Dass es keine Wissenschaft ohne menschliche Fantasie gibt, wird sehr deutlich, wenn wir uns mit Dinosauriern beschäftigen. Wir haben ziemlich klare Vorstellungen von ihnen, obwohl kein Mensch je einen gesehen hat. Je realistischer und lebendiger sie dargestellt werden, um so mehr ist menschliche Fantasie im Spiel. Da es kein m enschliches Denken jenseits der menschlichen Sphäre gibt, ist selbst die strengste Wissenschaft anthropomorph.
Um uns Tieren anzunähern, haben wir auch die Möglichkeiten der vereinfachten Darstellungen aus Kinderbüchern, Dokumentarfilmen und anderer populärwissenschaftlichen Erzeugnissen. Obwohl diese häufig krass überzeichnet und vermenschlicht sind, Tiere gerne auch in narrative Zusammenhänge stecken, die sich kaum mit deren tatsächlicher Erfahrungswelt decken dürften, sind sie doch für die meisten Menschen aufschlussreicher als eine streng biologische Sichtweise. Mindestens auf der Ebene der Empathie, da diese keinen Stellenwert in der naturwissenschaftlichen Methodik hat.
E
Anthropomorph
How adequate and admissible is the projection of the human experience of the world onto that of the animal? This paradigmatic question arises again and again in the human engagement with animals. Various traditions in philosophy and the natural sciences have advocated a strict separation of the two spheres, whereby the animal world becomes a fundamentally alien thing, of which we can know nothing beyond external observational data. On the other hand, there is the fact that if we wish to encounter an animal, to access and understand its world, we depend on humanisation to some extent, since we must operate using our imagination and some reference to our own experience. Without claiming to be comprehensive or definitive, this exhibition invites us to immerse ourselves in various different relationships between human and animal.
For example, we encounter Guppy, probably the most commonly kept “ornamental fish” in the world. The countless cultivated breeds of this fish are the result of an interplay between the possibilities of genetics and the aesthetic sensibility of humans. We might ask what kind of people breed animals and for what reasons.
It is said that cats came to live among humans of their own free will. Besides dogs, they are the animals we think we know and understand best. And in fact, our communication with them works quite well. But a cat continues to lead a life of its own when it goes out and experiences adventures that we never know about. Good keepers of dogs and cats are aware that certain behaviours of these animals are specific to them. This means that in order to do them justice we must learn to “read” them and should not interpret their behaviour from a purely human perspective.
Monkeys are often cited among people’s favourite animals, and the average time zoo visitors spend in front of monkey enclosures is very high. They are often regarded as a mirror for humanity. But what do we see in them? Do they show us a paradisiacal state of the almost-human, without the pitfalls of civilization? But isn’t there also some contempt mixed in with our affection? A human being judged as devoid of all humanity is often called an ape.
That there is no science without human imagination becomes very clear when we look at dinosaurs. We have quite a distinct concept of them, even though no human being has ever seen one alive. The more realistically and vividly they are depicted, the more our imagination is involved. Since there is no human thought beyond the sphere of the human, even the most rigorous science is anthropomorphic.
To get closer to animals, there is also the option of simplified representations from children’s books, documentaries and other products of popular science. Although these interpretations are often grossly exaggerated and anthropomorphized, frequently placing animals in narrative contexts that are unlikely to correspond with their actual experiences, they are nevertheless more illuminating for most people than a strictly biological approach – at least on the level of empathy, since the latter has no place in scientific method.
Translated by Kate Whitebread
Mit freundlicher Unterstützung von/Kindly supported by:
Pro Helvetia | Kultur Stadt Bern | Swisslos Lotteriefonds Kanton Bern | Burgergemeinde Bern | Temperatio | GVB Kulturstiftung
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09.04.–14.05.2022
Margrit Jäggli | Nicolas Frey | Jan van Oordt | Francisco Sierra | Rachel Carson | Zdenek Burian | Lin May Saeed | Joshua Bennett | Eileen Myles | Dietmar Dath | Alice Walker | Filipa Ramos | Fernando Peres | Alan Weisman | Yi-Fu Tuan | and more
Exhibition Views
D
Anthropomorph
Paradigmatisch in der Auseinandersetzung mit Tieren stellt sich immer wieder die Frage, wie zulänglich und zulässlich die Projektion der menschlichen Erfahrungswelt auf die eines Tieres ist. Klassische philosophische und naturwissenschaftliche Positionen traten immer wieder für eine strenge Trennung der beiden Sphären ein, wodurch die Tierwelt zu etwas grundsätzlich Fremdem wird, über das wir über äussere Beobachtungsdaten hinaus nichts wissen können. Auf der anderen Seite steht die Tatsache, dass man, wenn man einem Tier begegnen will, sich in dieses hineindenken will, man auf gewisse Vermenschlichungen angewiesen ist und mit Fantasie und einem Abgleich mit der eigenen Erfahrung operieren muss. Ohne Anspruch auf Abgeschlossenheit bietet diese Ausstellung Möglichkeiten, einzutauchen in unterschiedliche Beziehungen von Mensch und Tier.
Wir begegnen hier zum Beispiel dem Guppy, dem weltweit wohl am meisten gehaltenen „Zierfisch“. Die unzähligen Zuchtformen dieses Fisches sind ein Zusammenspiel der Möglichkeiten der Genetik und dem ästhetischen Empfinden des Menschen. Wir können uns fragen, was für Menschen Tiere züchten und aus welchen Gründen.
Man sagt, Katzen seien aus freien Stücken zum Menschen gekommen. Neben den Hunden sind es die Tiere, die wir am besten zu kennen und verstehen glauben. Tatsächlich funktioniert unsere Kommunikation mit ihnen ziemlich gut. Doch eine Katze führt immer auch ihr eigenes Leben, wenn sie raus geht und Abenteuer erlebt, von denen wir nichts erfahren. Gute Hunde- und Katzenhalter*Innen wissen auch, dass gewisse Verhaltensweisen dieser Tiere spezifisch für diese sind. Dies bedeutet, dass man sie „lesen“ lernen muss und nicht aus einer rein menschlichen Perspektive deuten sollte, um ihnen gerecht zu werden.
Affen werden immer wieder als Lieblingstiere genannt und die durchschnittliche Aufenthaltszeit von Zoobesucher*Innen vor Affengehegen ist sehr hoch. Sie werden gerne als einen Spiegel für uns Menschen angesehen. Doch was sehen wir in ihnen? Zeigen sie uns einen paradiesischen Zustand von Fast-Menschsein ohne die Fallstricke der Zivilisation? Oder mischt sich in unsere Zuneigung nicht auch etwas Verachtung? Ein Mensch bar jeder Menschlichkeit wird häufig als Affe bezeichnet.
Dass es keine Wissenschaft ohne menschliche Fantasie gibt, wird sehr deutlich, wenn wir uns mit Dinosauriern beschäftigen. Wir haben ziemlich klare Vorstellungen von ihnen, obwohl kein Mensch je einen gesehen hat. Je realistischer und lebendiger sie dargestellt werden, um so mehr ist menschliche Fantasie im Spiel. Da es kein m enschliches Denken jenseits der menschlichen Sphäre gibt, ist selbst die strengste Wissenschaft anthropomorph.
Um uns Tieren anzunähern, haben wir auch die Möglichkeiten der vereinfachten Darstellungen aus Kinderbüchern, Dokumentarfilmen und anderer populärwissenschaftlichen Erzeugnissen. Obwohl diese häufig krass überzeichnet und vermenschlicht sind, Tiere gerne auch in narrative Zusammenhänge stecken, die sich kaum mit deren tatsächlicher Erfahrungswelt decken dürften, sind sie doch für die meisten Menschen aufschlussreicher als eine streng biologische Sichtweise. Mindestens auf der Ebene der Empathie, da diese keinen Stellenwert in der naturwissenschaftlichen Methodik hat.
E
Anthropomorph
How adequate and admissible is the projection of the human experience of the world onto that of the animal? This paradigmatic question arises again and again in the human engagement with animals. Various traditions in philosophy and the natural sciences have advocated a strict separation of the two spheres, whereby the animal world becomes a fundamentally alien thing, of which we can know nothing beyond external observational data. On the other hand, there is the fact that if we wish to encounter an animal, to access and understand its world, we depend on humanisation to some extent, since we must operate using our imagination and some reference to our own experience. Without claiming to be comprehensive or definitive, this exhibition invites us to immerse ourselves in various different relationships between human and animal.
For example, we encounter Guppy, probably the most commonly kept “ornamental fish” in the world. The countless cultivated breeds of this fish are the result of an interplay between the possibilities of genetics and the aesthetic sensibility of humans. We might ask what kind of people breed animals and for what reasons.
It is said that cats came to live among humans of their own free will. Besides dogs, they are the animals we think we know and understand best. And in fact, our communication with them works quite well. But a cat continues to lead a life of its own when it goes out and experiences adventures that we never know about. Good keepers of dogs and cats are aware that certain behaviours of these animals are specific to them. This means that in order to do them justice we must learn to “read” them and should not interpret their behaviour from a purely human perspective.
Monkeys are often cited among people’s favourite animals, and the average time zoo visitors spend in front of monkey enclosures is very high. They are often regarded as a mirror for humanity. But what do we see in them? Do they show us a paradisiacal state of the almost-human, without the pitfalls of civilization? But isn’t there also some contempt mixed in with our affection? A human being judged as devoid of all humanity is often called an ape.
That there is no science without human imagination becomes very clear when we look at dinosaurs. We have quite a distinct concept of them, even though no human being has ever seen one alive. The more realistically and vividly they are depicted, the more our imagination is involved. Since there is no human thought beyond the sphere of the human, even the most rigorous science is anthropomorphic.
To get closer to animals, there is also the option of simplified representations from children’s books, documentaries and other products of popular science. Although these interpretations are often grossly exaggerated and anthropomorphized, frequently placing animals in narrative contexts that are unlikely to correspond with their actual experiences, they are nevertheless more illuminating for most people than a strictly biological approach – at least on the level of empathy, since the latter has no place in scientific method.
Translated by Kate Whitebread
Mit freundlicher Unterstützung von/Kindly supported by:
Pro Helvetia | Kultur Stadt Bern | Swisslos Lotteriefonds Kanton Bern | Burgergemeinde Bern | Temperatio | GVB Kulturstiftung
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