24.02.–30.03.2024
Kevin Aeschbacher, Juliette Berger, Marie Gyger, Sapir Kesem Leary, Ka Moser, Thomas Sauter
DE – Tausend Blumen
Du darfst es Schönheit nennen.
Der Abstraktionsdrang ist die Folge einer grossen inneren Beunruhigung des Menschen durch die Erscheinungen der Aussenwelt. Von dem verworrenen Zusammenhang und dem Wechselspiel der Aussenwelterscheinungen gequält, beherrscht Menschen ein ungeheures Ruhebedürfnis. Die Beglückungsmöglichkeiten, die wir in der Kunst suchen, bestehen nicht darin, sich in die Dinge der Aussenwelt zu versenken, sich in ihnen zu geniessen, sondern darin, das einzelne Ding der Aussenwelt aus seiner Willkürlichkeit und scheinbaren Zufälligkeit herauszunehmen, es durch Annäherung an abstrakte Formen zu verewigen und auf diese Weise einen Ruhepunkt in der Erscheinungen Flucht zu finden. Wo das uns gelingt, da empfinden wir Beglückung und Befriedigung, und so dürfen wir es Schönheit nennen.
Wilhelm Worringer, Abstraktion und Einfühlung (1907), von mir mit universalisierenden Eingriffen falsch zitiert.
Es mag sein, dass sie noch vom Ursprung her kommt: die Lust an der in die Unendlichkeit strebenden Dekoration. Worringer war der Überzeugung, dass das Ornament seinen Ausgangspunkt im Kunstwollen einer „niedrigen Kulturstufe“ hatte, in welcher die Natur noch als feindlich und bedrohlich erlebt wurde. Die Formen der Natur wurden in ornamentalen Rastern domestiziert und freundlich gemacht. Mit Fortschreitender Kulturentwicklung wurde die Aussenwelt immer weniger gefährlich, wodurch der Abstraktionsdrang schwächer wurde. So wurde für die Kunst der Naturalismus möglich, da man den Schutz des Ornamentalen nicht mehr brauchte.
Ein Blick in die Gegenwart zeigt natürlich, dass das Ornament nie seine Relevanz verloren hat. Als modulares System ästhetischer Codes konnte es gar nie wirklich aus der Mode kommen. Es ist zu praktisch in der gestalterischen Anwendung und von zu grossem Nutzen für mentale Verteidigungsstrategien, als dass man es jemals hätte weglegen können. Und tatsächlich, wenn ich mich selber hineinlese, dort, wo Worringer nicht mich zu meinen glaubt, (ich den Text falsch lese), lese ich davon, wie Menschen wahrscheinlich zu allen Zeiten und bis heute mit Mustern und Verzierungen gelebt haben. Wir sind nicht uneingeschränkt zuhause in der Welt. Ornamente schaffen immer Ruhepunkte in den verworrenen Zusammenhängen der Aussenwelt. Tausend Sequenzen von Blumen für alle Zeiten. Wenn wir das haben, empfinden wir Beglückung und Befriedigung. Wir nennen das Schönheit.
Text: Hannes Zulauf
EN – Thousand Flowers
You may call it beauty.
The urge to abstraction is the outcome of a great inner unrest inspired in human beings by the phenomena of the outside world. Tormented by the entangled inter-relationship and flux of the phenomena of the outer world, people are dominated by an immense need for tranquillity. The happiness we seek from art does not consist in projecting ourselves into the things of the outer world, of enjoying ourselves in them, but in taking the individual thing of the external world out of its arbitrariness and seeming fortuitousness, of eternalising it by approximation to abstract forms and, in this manner, of finding a point of tranquillity and a refuge from appearances. Where we are successful in this, we experience that happiness and satisfaction, and therefore we may call it beauty.
Wilhelm Worringer, Abstraction and Empathy (1907, translation mostly by Michael Bullock 1953). Misquoted with universalising interventions by myself.
Perhaps it derives from ancient origins, this delight in decoration that strives towards eternity. Worringer believed that the ornament was rooted in the Kunstwollen (the “artistic volition”) of a “primitive cultural level” in which nature was still experienced as hostile and threatening, hence forms of nature were domesticated into friendly ornamental patterns. With the progressive development of culture, the outer world became less dangerous, and the degree of abstraction waned. This made naturalism in art possible, as the protection of the ornamental was no longer needed.
One look at the present is enough, of course, to show that the ornament never lost its relevance. As a modular system of aesthetic codes it could never truly go out of fashion. It is too practical as an element of design and too useful for defences of the mind to ever have been discarded. And in fact, if I read myself into it, where Worringer never suspects meaning me (if I read the text wrongly), then I read the story of how people have probably always, and up to the present day, lived with pattern and decoration. We are not fully at home in the world. Ornaments always create points of tranquillity in the entangled interrelationships of the outside world. A thousand sequences of flowers for all time. If we have that, we feel happiness and satisfaction. We call that beauty.
Text: Hannes Zulauf
Mit freundlicher Unterstützung von/Kindly supported by:
Pro Helvetia | Kultur Stadt Bern | Swisslos Lotteriefonds Kanton Bern | Burgergemeinde Bern | Ernst Göhner Stiftung | Temperatio | GVB Kulturstiftung
Back to top
24.02.–30.03.2024
Kevin Aeschbacher, Juliette Berger, Marie Gyger, Sapir Kesem Leary, Ka Moser, Thomas Sauter
DE – Tausend Blumen
Du darfst es Schönheit nennen.
Der Abstraktionsdrang ist die Folge einer grossen inneren Beunruhigung des Menschen durch die Erscheinungen der Aussenwelt. Von dem verworrenen Zusammenhang und dem Wechselspiel der Aussenwelterscheinungen gequält, beherrscht Menschen ein ungeheures Ruhebedürfnis. Die Beglückungsmöglichkeiten, die wir in der Kunst suchen, bestehen nicht darin, sich in die Dinge der Aussenwelt zu versenken, sich in ihnen zu geniessen, sondern darin, das einzelne Ding der Aussenwelt aus seiner Willkürlichkeit und scheinbaren Zufälligkeit herauszunehmen, es durch Annäherung an abstrakte Formen zu verewigen und auf diese Weise einen Ruhepunkt in der Erscheinungen Flucht zu finden. Wo das uns gelingt, da empfinden wir Beglückung und Befriedigung, und so dürfen wir es Schönheit nennen.
Wilhelm Worringer, Abstraktion und Einfühlung (1907), von mir mit universalisierenden Eingriffen falsch zitiert.
Es mag sein, dass sie noch vom Ursprung her kommt: die Lust an der in die Unendlichkeit strebenden Dekoration. Worringer war der Überzeugung, dass das Ornament seinen Ausgangspunkt im Kunstwollen einer „niedrigen Kulturstufe“ hatte, in welcher die Natur noch als feindlich und bedrohlich erlebt wurde. Die Formen der Natur wurden in ornamentalen Rastern domestiziert und freundlich gemacht. Mit Fortschreitender Kulturentwicklung wurde die Aussenwelt immer weniger gefährlich, wodurch der Abstraktionsdrang schwächer wurde. So wurde für die Kunst der Naturalismus möglich, da man den Schutz des Ornamentalen nicht mehr brauchte.
Ein Blick in die Gegenwart zeigt natürlich, dass das Ornament nie seine Relevanz verloren hat. Als modulares System ästhetischer Codes konnte es gar nie wirklich aus der Mode kommen. Es ist zu praktisch in der gestalterischen Anwendung und von zu grossem Nutzen für mentale Verteidigungsstrategien, als dass man es jemals hätte weglegen können. Und tatsächlich, wenn ich mich selber hineinlese, dort, wo Worringer nicht mich zu meinen glaubt, (ich den Text falsch lese), lese ich davon, wie Menschen wahrscheinlich zu allen Zeiten und bis heute mit Mustern und Verzierungen gelebt haben. Wir sind nicht uneingeschränkt zuhause in der Welt. Ornamente schaffen immer Ruhepunkte in den verworrenen Zusammenhängen der Aussenwelt. Tausend Sequenzen von Blumen für alle Zeiten. Wenn wir das haben, empfinden wir Beglückung und Befriedigung. Wir nennen das Schönheit.
Text: Hannes Zulauf
EN – Thousand Flowers
You may call it beauty.
The urge to abstraction is the outcome of a great inner unrest inspired in human beings by the phenomena of the outside world. Tormented by the entangled inter-relationship and flux of the phenomena of the outer world, people are dominated by an immense need for tranquillity. The happiness we seek from art does not consist in projecting ourselves into the things of the outer world, of enjoying ourselves in them, but in taking the individual thing of the external world out of its arbitrariness and seeming fortuitousness, of eternalising it by approximation to abstract forms and, in this manner, of finding a point of tranquillity and a refuge from appearances. Where we are successful in this, we experience that happiness and satisfaction, and therefore we may call it beauty.
Wilhelm Worringer, Abstraction and Empathy (1907, translation mostly by Michael Bullock 1953). Misquoted with universalising interventions by myself.
Perhaps it derives from ancient origins, this delight in decoration that strives towards eternity. Worringer believed that the ornament was rooted in the Kunstwollen (the “artistic volition”) of a “primitive cultural level” in which nature was still experienced as hostile and threatening, hence forms of nature were domesticated into friendly ornamental patterns. With the progressive development of culture, the outer world became less dangerous, and the degree of abstraction waned. This made naturalism in art possible, as the protection of the ornamental was no longer needed.
One look at the present is enough, of course, to show that the ornament never lost its relevance. As a modular system of aesthetic codes it could never truly go out of fashion. It is too practical as an element of design and too useful for defences of the mind to ever have been discarded. And in fact, if I read myself into it, where Worringer never suspects meaning me (if I read the text wrongly), then I read the story of how people have probably always, and up to the present day, lived with pattern and decoration. We are not fully at home in the world. Ornaments always create points of tranquillity in the entangled interrelationships of the outside world. A thousand sequences of flowers for all time. If we have that, we feel happiness and satisfaction. We call that beauty.
Text: Hannes Zulauf
Mit freundlicher Unterstützung von/Kindly supported by:
Pro Helvetia | Kultur Stadt Bern | Swisslos Lotteriefonds Kanton Bern | Burgergemeinde Bern | Ernst Göhner Stiftung | Temperatio | GVB Kulturstiftung
Back to top