29.10.–03.12.2022
Anastasia Sviridenko | Claude Hohl | Elin Gonzalez | Linus Weber | Peter Wächtler
D
Weird Tales
Weird Tales ist ein US-amerikanisches Pulp-Magazin, welches stilbildend für literarische Experimente im Fantasy- und Horrorbereich war. Seit der ersten Ausgabe 1923 wurde es zu einem wichtigen Publikationsorgan für Schauergeschichten die, wie der Name sagt, zu seltsam waren, um in anderen Zeitschriften gedruckt zu werden. Das Magazin besteht bis heute. Für die Gruppenausstellung liefert es uns einen Ausgangspunkt, um über das Potenzial von Horror jenseits des Gruseleffekts nachzudenken.
Geschichten über Monster thematisieren im Grunde immer unser Verhältnis zum Fremden. Faszination und Aversion reichen sich dabei häufig die Hand. In einem guten Film, Comic oder Videospiel sind Monster nicht bloss angsteinflössend - sie sehen irgendwie auch toll aus. Es gibt Horrorgeschichten mit einem mehr oder weniger klaren Unterton von Xenophobie. Andere, wie Mary Shellys Frankenstein lassen uns unsere eigene Menschlichkeit in der Konfrontation mit dem Fremden hinterfragen und sind eher humanistisch motiviert. In der Ausstellung interessiert uns daher das Monster nicht nur als Kehrseite des Menschlichen, sondern auch als Affirmation menschlicher Seltsamkeit.
Linus Webers Malereien zeigen eigenartig deformierte Gliedmassen, die sich in einer grünen Flüssigkeit aufzulösen scheinen. Eine albtraumhafte Situation. Doch irgendetwas scheint nicht nur schrecklich daran zu sein. Vielleicht liegt es ganz einfach an der malerischen Eleganz, vielleicht aber auch an der von den Darstellungen evozierten Stimmung, dass sich bei längerem Betrachten ein Wohlgefühl einschleicht und sich mit dem Abstossenden vermischt. Plötzlich können die Bilder als rauschartige Zustände der Selbstauflösung gelesen werden.
Einen tragisch realen Horror thematisiert Elin Gonzales in ihren Zeichnungen. Zu sehen sind Arbeitsnehmende von Amazon, welche, an die Tradition von Tierfabeln erinnernd, die Köpfe von Ameisen haben. Amazon ist ein besonders grausames Beispiel des zeitgenössischen Raubtierkapitalismus, dessen Arbeitsbedingungen an Sklaverei grenzen.
Peter Wächtlers Videoarbeit Untitled (Vampire) zeigt uns die existenziellen Fragen, Sehnsüchte und Alltagssorgen eines Vampirs. Die Ichperspektive des Texts vermischt grosse Themen mit den Banalitäten einer Konsumkultur wodurch der Vampir in erster Linie zu einem ganz normalen Menschen wird.
Die Heavy Metal-Kultur mit ihrer notorischen Obsession mit Monstern und anderen Horrorklischees wird von Claude Hohl aufgegriffen. Dass sich die Metalszene mit diesen Dingen identifiziert, bedeutet aber nicht, dass es darum geht, selber besonders schrecklich zu sein. Es geht dabei wohl mehr um das Monster als eine Metapher für Grenzgebiete der Gesellschaft, das heisst Aussenseitertum und Nonkonformismus. In Hohls Malereien von Albumcovers besteht jedoch die Tendenz, dass das Sujet zu einem Anlass zur Malerei wird. Durch ein breites Repertoire malerischer Gesten, mal tänzerisch leicht, mal grob gekratzt und geschmiert, tritt das Motiv in den Hintergrund zu Gunsten einer Erfahrung von Malerei, die an das Abstrakte grenzt.
Fragmente einer Geschichte und traumhafte Zwischenwelten werden von Anastasia Sviridenkos Zeichnungen an das Tageslicht gebracht. Durch die unterschiedlichen Ausarbeitungsgrade innerhalb der Zeichnungen scheinen die Bilder direkt vor unseren Augen zu entstehen, wie Geister die sich aus dem Bleistift lösen und sich in das Papier einschreiben. Die Szenen sind angenehm schummrig und unheimlich, genau so, wie wenn man eine Gruselgeschichte liest und dabei gemütlich im Bett liegt.
Text: Hannes Zulauf
E
Weird Tales
Weird Tales is a US American Pulp Magazine with a pioneering influence on literary experimentation in the genres of fantasy and horror. From the first issue in 1923 it evolved into an important publishing organ for horror stories that, as the name suggests, were too weird to be printed in other magazines. The magazine is still in print today. For the group exhibition it provides us with a starting point to think about horror beyond the spectacle of the spooky.
At their heart, stories about monsters are always about our relationship to the alien, the other. Fascination and aversion often go hand in hand. In a good film, comic or video game, monsters are not merely scary – they also kind of look great. There are horror stories with a more or a less clear undertone of xenophobia. Others, such as Mary Shelley’s Frankenstein have a more humanistic motivation, they ask us to examine our own humanity in the confrontation with the Other. In the exhibition, we are therefore interested in the monster not only as the flip side of the human, but also as an affirmation of human strangeness.
Linus Weber’s paintings show strangely deformed limbs that seem to dissolve in a green liquid. A nightmarish situation. But something about it doesn’t seem so terrible. Perhaps it is the elegance of the painting, perhaps the atmosphere invoked by the images: after looking for a while, a feeling of wellbeing creeps up on us and mingles with the repulsive. Suddenly we can read these images as intoxicating states of self-dissolution.
A tragically real horror is the theme of Elin Gonzales’ drawings. We see employees at Amazon who, reminiscent of the tradition of animal fables, have the heads of ants. Amazon is a particularly gruesome example of contemporary predatory capitalism, whose working conditions border on slavery.
Peter Wächtler’s video piece Untitled (Vampire) familiarizes us with the existential issues, desires and everyday concerns of a vampire. The first person perspective of the text merges grand themes with the banality of consumer culture, which above all turns the vampire into a completely normal human being.
Heavy Metal culture, known for its notorious obsession with monsters and other horror clichés, is the subject of Claude Hohl’s paintings. The Metal scene’s identification with these things does not mean, however, that it’s about being especially terrible, or terrifying. It seems to be more about the monster as a metaphor for spaces at the edge of society, about nonconformity and what it means to be an outsider. In Hohl’s paintings of album covers there is the tendency that the subject becomes but an occasion for painting. Through a wide repertoire of painterly gestures – sometimes light-footed, sometimes with rough scratches or greasy smears – the motif fades into the background in favour of an experience of painting that borders on the abstract.
Fragments of a story and dream-like liminal worlds are brought to light in Anastasia Sviridenko’s drawings. As a result of differences in the degree of finish within the drawing, the images seem to take shape before our eyes, like ghosts emerging from the pencil to inscribe themselves on paper. The scenes are pleasantly dim and eerie, just like reading a scary story while lying comfortably in bed.
Translation: Kate Whitebread
Mit freundlicher Unterstützung von/Kindly supported by:
Pro Helvetia | Kultur Stadt Bern | Swisslos Lotteriefonds Kanton Bern | Burgergemeinde Bern | Temperatio | GVB Kulturstiftung
Back to top
29.10.–03.12.2022
Anastasia Sviridenko | Claude Hohl | Elin Gonzalez | Linus Weber | Peter Wächtler
D
Weird Tales
Weird Tales ist ein US-amerikanisches Pulp-Magazin, welches stilbildend für literarische Experimente im Fantasy- und Horrorbereich war. Seit der ersten Ausgabe 1923 wurde es zu einem wichtigen Publikationsorgan für Schauergeschichten die, wie der Name sagt, zu seltsam waren, um in anderen Zeitschriften gedruckt zu werden. Das Magazin besteht bis heute. Für die Gruppenausstellung liefert es uns einen Ausgangspunkt, um über das Potenzial von Horror jenseits des Gruseleffekts nachzudenken.
Geschichten über Monster thematisieren im Grunde immer unser Verhältnis zum Fremden. Faszination und Aversion reichen sich dabei häufig die Hand. In einem guten Film, Comic oder Videospiel sind Monster nicht bloss angsteinflössend - sie sehen irgendwie auch toll aus. Es gibt Horrorgeschichten mit einem mehr oder weniger klaren Unterton von Xenophobie. Andere, wie Mary Shellys Frankenstein lassen uns unsere eigene Menschlichkeit in der Konfrontation mit dem Fremden hinterfragen und sind eher humanistisch motiviert. In der Ausstellung interessiert uns daher das Monster nicht nur als Kehrseite des Menschlichen, sondern auch als Affirmation menschlicher Seltsamkeit.
Linus Webers Malereien zeigen eigenartig deformierte Gliedmassen, die sich in einer grünen Flüssigkeit aufzulösen scheinen. Eine albtraumhafte Situation. Doch irgendetwas scheint nicht nur schrecklich daran zu sein. Vielleicht liegt es ganz einfach an der malerischen Eleganz, vielleicht aber auch an der von den Darstellungen evozierten Stimmung, dass sich bei längerem Betrachten ein Wohlgefühl einschleicht und sich mit dem Abstossenden vermischt. Plötzlich können die Bilder als rauschartige Zustände der Selbstauflösung gelesen werden.
Einen tragisch realen Horror thematisiert Elin Gonzales in ihren Zeichnungen. Zu sehen sind Arbeitsnehmende von Amazon, welche, an die Tradition von Tierfabeln erinnernd, die Köpfe von Ameisen haben. Amazon ist ein besonders grausames Beispiel des zeitgenössischen Raubtierkapitalismus, dessen Arbeitsbedingungen an Sklaverei grenzen.
Peter Wächtlers Videoarbeit Untitled (Vampire) zeigt uns die existenziellen Fragen, Sehnsüchte und Alltagssorgen eines Vampirs. Die Ichperspektive des Texts vermischt grosse Themen mit den Banalitäten einer Konsumkultur wodurch der Vampir in erster Linie zu einem ganz normalen Menschen wird.
Die Heavy Metal-Kultur mit ihrer notorischen Obsession mit Monstern und anderen Horrorklischees wird von Claude Hohl aufgegriffen. Dass sich die Metalszene mit diesen Dingen identifiziert, bedeutet aber nicht, dass es darum geht, selber besonders schrecklich zu sein. Es geht dabei wohl mehr um das Monster als eine Metapher für Grenzgebiete der Gesellschaft, das heisst Aussenseitertum und Nonkonformismus. In Hohls Malereien von Albumcovers besteht jedoch die Tendenz, dass das Sujet zu einem Anlass zur Malerei wird. Durch ein breites Repertoire malerischer Gesten, mal tänzerisch leicht, mal grob gekratzt und geschmiert, tritt das Motiv in den Hintergrund zu Gunsten einer Erfahrung von Malerei, die an das Abstrakte grenzt.
Fragmente einer Geschichte und traumhafte Zwischenwelten werden von Anastasia Sviridenkos Zeichnungen an das Tageslicht gebracht. Durch die unterschiedlichen Ausarbeitungsgrade innerhalb der Zeichnungen scheinen die Bilder direkt vor unseren Augen zu entstehen, wie Geister die sich aus dem Bleistift lösen und sich in das Papier einschreiben. Die Szenen sind angenehm schummrig und unheimlich, genau so, wie wenn man eine Gruselgeschichte liest und dabei gemütlich im Bett liegt.
Text: Hannes Zulauf
E
Weird Tales
Weird Tales is a US American Pulp Magazine with a pioneering influence on literary experimentation in the genres of fantasy and horror. From the first issue in 1923 it evolved into an important publishing organ for horror stories that, as the name suggests, were too weird to be printed in other magazines. The magazine is still in print today. For the group exhibition it provides us with a starting point to think about horror beyond the spectacle of the spooky.
At their heart, stories about monsters are always about our relationship to the alien, the other. Fascination and aversion often go hand in hand. In a good film, comic or video game, monsters are not merely scary – they also kind of look great. There are horror stories with a more or a less clear undertone of xenophobia. Others, such as Mary Shelley’s Frankenstein have a more humanistic motivation, they ask us to examine our own humanity in the confrontation with the Other. In the exhibition, we are therefore interested in the monster not only as the flip side of the human, but also as an affirmation of human strangeness.
Linus Weber’s paintings show strangely deformed limbs that seem to dissolve in a green liquid. A nightmarish situation. But something about it doesn’t seem so terrible. Perhaps it is the elegance of the painting, perhaps the atmosphere invoked by the images: after looking for a while, a feeling of wellbeing creeps up on us and mingles with the repulsive. Suddenly we can read these images as intoxicating states of self-dissolution.
A tragically real horror is the theme of Elin Gonzales’ drawings. We see employees at Amazon who, reminiscent of the tradition of animal fables, have the heads of ants. Amazon is a particularly gruesome example of contemporary predatory capitalism, whose working conditions border on slavery.
Peter Wächtler’s video piece Untitled (Vampire) familiarizes us with the existential issues, desires and everyday concerns of a vampire. The first person perspective of the text merges grand themes with the banality of consumer culture, which above all turns the vampire into a completely normal human being.
Heavy Metal culture, known for its notorious obsession with monsters and other horror clichés, is the subject of Claude Hohl’s paintings. The Metal scene’s identification with these things does not mean, however, that it’s about being especially terrible, or terrifying. It seems to be more about the monster as a metaphor for spaces at the edge of society, about nonconformity and what it means to be an outsider. In Hohl’s paintings of album covers there is the tendency that the subject becomes but an occasion for painting. Through a wide repertoire of painterly gestures – sometimes light-footed, sometimes with rough scratches or greasy smears – the motif fades into the background in favour of an experience of painting that borders on the abstract.
Fragments of a story and dream-like liminal worlds are brought to light in Anastasia Sviridenko’s drawings. As a result of differences in the degree of finish within the drawing, the images seem to take shape before our eyes, like ghosts emerging from the pencil to inscribe themselves on paper. The scenes are pleasantly dim and eerie, just like reading a scary story while lying comfortably in bed.
Translation: Kate Whitebread
Mit freundlicher Unterstützung von/Kindly supported by:
Pro Helvetia | Kultur Stadt Bern | Swisslos Lotteriefonds Kanton Bern | Burgergemeinde Bern | Temperatio | GVB Kulturstiftung
Back to top